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Ausbeutung in der Fleischindustrie Moderne Sklaverei

In der Fleischindustrie werden Beschäftige brutal ausgebeutet. Möglich wird das durch ein Hintertürchen in einem Gesetz. Die SPD will dagegen vorgehen - agiert jedoch vorsichtig.

Sigmar Gabriel verschlägt es nicht so schnell die Sprache. Im Gegenteil, je übler es kommt, desto mehr geht ihm der Mund über. "Wenn ich mir die Wurst aufs Brötchen lege, will ich mir nicht die Frage stellen müssen, unter welchen abscheulichen Bedingungen die hergestellt worden ist", wütete der SPD-Chef, nachdem er sich über die Zustände in deutschen Fleischfabriken informiert hatte.

Manches, was dort passiere, sei "nah an organisierter Kriminalität, ’ne Schande für unser Land". Worüber der Wirtschaftsminister sich derart aufregt, ist eine Art moderner Sklaverei unter dem Deckmantel der Legalität. Es geht um osteuropäische Werkvertragsarbeiter, die in den riesigen Schlachthöfen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens am laufenden Band Schweine, Rinder und Hühner schlachten und zerlegen. 

Auswüchse einer weitverbreiteten Praxis

Gewerkschafter gehen von insgesamt bis zu 40.000 Menschen aus, die häufig brutal ausgebeutet werden: Arbeitszeiten von 12 bis 16 Stunden, kaum Pausen, verspätet gezahlter Lohn, von dem auch noch ein großer Teil abgezogen wird für Fahrten zum Betrieb und die Miete für Zimmer oder notdürftig umgebaute Ställe, in denen sich oft zwei Männer ein Bett teilen müssen. Es sind Auswüchse einer weitverbreiteten Praxis. Über Werkverträge dürfen Firmen Leistungen, die sie nicht selbst erbringen können, an andere vergeben; ein Bauunternehmen soll einen Fliesenleger damit beauftragen dürfen, die Bäder zu kacheln - so war es jedenfalls gedacht. Längst aber lagern Firmen immer häufiger klassische Tätigkeiten aus. In vielen Supermärkten bestücken nicht Angestellte die Regale, sondern angeheuerte Dienstleister. Das ist lukrativ, weil Subunternehmer meist nicht an den Tarifvertrag gebunden sind und weniger Lohn zahlen.

Den "Sumpf trockenlegen"

Großschlachter wie Danish Crown sollen bis zu 80 Prozent Werkvertragsarbeiter beschäftigen. In einigen Betrieben sind bis zu 20 Subunternehmen tätig, oft aus Osteuropa. So lässt sich kaum kontrollieren, wie viel sie abkassieren und wie sie die Arbeiter schuften lassen. Die wiederum schweigen aus Angst um ihren Job. Viele sprechen auch kein Deutsch. Diesen "Sumpf" will Sigmar Gabriel nun "trockenlegen". Bis zum Herbst soll Arbeitsministerin Andrea Nahles das Gesetz über die Werkverträge neu regeln - und das über die Leiharbeit gleich mit. Künftig sollen Zeitarbeiter und regulär Angestellte nach neun Monaten gleich bezahlt werden. Zudem will Nahles die Ausleihzeit eines Arbeiters grundsätzlich auf 18 Monate begrenzen. Bei den Werkverträgen will sie präzise festlegen, wann diese zum Schein abgeschlossen und deshalb ungültig sind.

Schwere Waffen einsetzen

So soll ein Betriebsleiter Werkvertragsarbeitern keine Anweisungen erteilen dürfen, andernfalls gelten sie als klassisch Beschäftigte und müssten Tariflohn und Mitbestimmungsrechte bekommen. Reibungslos geht der Plan kaum durch. Nach Mindestlohn und Rente mit 63 ist die Lust der Union auf Arbeitsmarktreformen bei null - und die der Wirtschaft erst recht. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fürchtet, dass "die Politik wieder das Kind mit dem Bade ausschüttet". Und CDU-Mittelständler Carsten Linnemann warnt, das "wichtige Instrument" Werkvertrag dürfe nicht "durch neue Regulierungen kaputt gemacht werden". 

Entsprechend vorsichtig agiert die Arbeitsministerin: "Wir wollen das Werkvertragsrecht nicht abschaffen, sondern die schwarzen Schafe erwischen." Ihr Parteichef sieht das ähnlich, will dabei aber schwere Waffen einsetzen: "Schwerpunkteinheiten aus Polizei, Staatsanwaltschaft, Gewerbeaufsicht, Zoll und Steuerfahndung". „Im Zweifel muss jeden Tag eine andere Behörde in den Betrieb gehen", so Gabriel. "Es muss einfach beschwerlich werden, Arbeitnehmer auszubeuten."

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