Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen nicht mehr Geld für Fleisch zahlen – mit dieser Begründung nahm die Supermarktkette Lidl nun den sogenannten Bauern-Soli wieder zurück. Den Forderungen von Landwirtinnen folgend hatte das Unternehmen, ebenso wie Kaufland und die Rewe-Gruppe, Mitte Dezember die Preise von zehn Fleischprodukten angehoben. Der Mehrerlös von einem Euro pro Kilo Schweinefleisch sollte vollständig an die Landwirte gehen, hatte der Discounter versprochen. Der Wettbewerbsnachteil sei jedoch zu groß gewesen, sagt Lidl nun. Sind Verbraucherinnen und Verbrauchern die Bauern egal? Oder liegt das Problem woanders? Ulrich Enneking ist Professor für Agrarmarketing an der Hochschule Osnabrück und untersucht, warum sich Menschen für oder gegen bestimmte Produkte entscheiden und wie sie auf Preisveränderungen reagieren. 

ZEITmagazin ONLINE: Lidl und Kaufland schaffen den Bauern-Soli ab und machen Schweinefleisch wieder billiger. Wundert Sie dieser Schritt?

Ulrich Enneking: Nein. Wenn so ein massiver Druck von den Landwirten kommt, wird natürlich erst mal reagiert. Aber letztlich bleibt der Markt von Angebot und Nachfrage abhängig. Als Händler kämpft man um die Gunst der Verbraucher. Und Discounter tun das fast nur über den Preis.

ZEITmagazin ONLINE: Lidl argumentiert, seine Kunden seien nicht bereit gewesen, mehr Geld für Fleisch auszugeben. Sind die Konsumenten schuld am schlechten Preis für die Bauern?

Enneking: Wenn ein Händler die Preise erhöht und der andere nicht, geht der Konsument zu einem anderen. Wenn es da das gleiche Fleisch gibt, also die gleiche Fleischqualität, kann man dem Verbraucher keinen Vorwurf machen. Und in dem Bereich gibt es tatsächlich wenig Qualitätsunterschiede.

ZEITmagazin ONLINE: Es handelt sich aus Ihrer Sicht also nicht nur um einen vorgeschobenen Grund?

Enneking: Nein, ich nehme den Händlern schon ab, dass sie in einem scharfen Preiskampf sind. Sie produzieren selbst ja keine Ware, sondern kaufen sie nur ein. Sie können nicht wie ein Hersteller ein individuelles Produkt gestalten. Hinzu kommt, dass die Händler versuchen, die Kundschaft vor allem über ihr Fleischangebot in die Läden zu locken. So ist das Preisdumping in der Fleischkategorie überhaupt erst entstanden. Früher war Fleisch der wichtigste Bestandteil des Wocheneinkaufs. Wer mit günstigem Fleisch werben konnte, ging davon aus, dass die Leute dann auch den Rest des Einkaufs dort erledigen. Dieser Preiskampf hat sich über die Jahrzehnte immer weiter verschärft. 

ZEITmagazin ONLINE: Wollte Lidl Ihrer Meinung nach ernsthaft den Landwirten helfen? Oder war das Ganze von Anfang an nur eine PR-Aktion? 

Enneking: Das kann ich nicht sagen, das wäre Spekulation. Vielleicht wollten sie es tatsächlich versuchen. Verdächtig ist aber, wenn nur ein Unternehmen so eine Preiserhöhung vornimmt. Dann ist sie wahrscheinlich nicht durchhaltbar. Wenn es funktionieren soll, müsste es Absprachen mit anderen Händlern geben – aber das darf man wiederum kartellrechtlich gar nicht. 

ZEITmagazin ONLINE: Geht das Kartellrecht zu weit, wenn es bessere Preise für Bauern verhindert?

Enneking: Nein, das Kartellrecht hat vor allem die Aufgabe, die Verbraucherinnen und Verbraucher vor überhöhten Preisen zu schützen. Es gibt ja nicht nur notleidende Landwirte, sondern auch Menschen, denen günstige Lebensmittelpreise das Leben erheblich erleichtern.

Eine Preiserhöhung heißt ja nicht automatisch, dass ich ein nachhaltigeres Produkt bekomme.
Ulrich Enneking

ZEITmagazin ONLINE: Unabhängig von Lidls Motivation: Warum hat die Aktion aus Marketingsicht nicht funktioniert? Es gibt doch eine steigende Nachfrage nach mehr Qualität und Nachhaltigkeit unter den Verbraucherinnen und Verbrauchern, oder?

Enneking: Ja, aber eine Preiserhöhung heißt ja nicht automatisch, dass ich ein nachhaltigeres Produkt bekomme. Funktionieren kann das längerfristig nur, wenn es eine Qualitätsveränderung gibt.

ZEITmagazin ONLINE: Warum macht Lidl nicht genau das: besseres Fleisch etwas teurer verkaufen?

Enneking: Ein entsprechendes Angebot müsste erst einmal zur Verfügung stehen. Viele Landwirtinnen und Verarbeiter, die tiergerechtere Fleischqualität bieten, produzieren oft kleine Mengen und wollen ihre Waren lieber direkt an die Verbraucher verkaufen, zum Beispiel auf dem Wochenmarkt oder mit einer Gemüsekiste. Außerdem dürften die Produktionskosten nicht zum Preisgefüge eines Discounters passen.

ZEITmagazin ONLINE: Wie steht es denn um die Bereitschaft der Deutschen, mehr Geld für Fleisch auszugeben? 

Enneking: Wir haben vor zwei Jahren ein Experiment gemacht, das bestätigt hat, dass ungefähr ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger mehr Geld für Fleisch ausgeben würde. Aber nur, wenn erkennbar ist, dass das Fleisch eine bessere Qualität hat, also beispielsweise beim Verarbeitungsprozess, der das Tierwohl beeinflusst. Wenn sogar eine Kombination aus Geschmack und Ethik bedient wird, dann halte ich noch höhere Preise für möglich. Da spielen dann auch Lifestyle-Faktoren mit rein: Wenn ich mich mit dem Produkt in meiner Peergroup, also bei meiner sozialen Gruppe, gut zeigen kann, dann steigt die Zahlungsbereitschaft weiter an. Deshalb können beispielsweise Fleischersatzprodukte auch durchaus mehr kosten: Mit ihnen verbinden Käuferinnen und Käufer auch ein Statement.