Das ist ein Artikel vom Top-Thema:
Nahrungskrise und Selbstversorgung

Hat Deutschland genug Getreide – um sich zu versorgen? - Die Fakten

getreidefeld.
Thumbnail
Dr. Olaf Zinke, agrarheute
am Montag, 14.03.2022 - 11:24 (5 Kommentare)

Immer mehr Länder machen sich Sorgen über die Versorgung mit Getreide und Nahrungsmitteln.

Die Folgen des Ausfalls der beiden Schwarzmeerländer für die globalen Getreidehandel und die Versorgung sind gravierend – immerhin sind beide Länder zusammen für 29 Prozent der globalen Weizenexporte und für 19 Prozent der Maisexporte verantwortlich.

Diese Lücke lässt sich auch durch die anderen großen Exporteure nicht wirklich schließen – wie die rekordhohen Getreidepreise eindrucksvoll anzeigen. Die FAO warnt deshalb vor allem in den ärmeren Ländern vor Hungersnöten und Aufständen und auch vor explodierenden Brot- und Lebensmittelpreisen in den westlichen Industrieländern.

Versorgung mit Getreide ist gesichert – erst einmal

weizenpreise.

Deutschland ist in der Europäischen Union nach Frankreich der zweitgrößte Getreideproduzent. Ein Blick auf die deutsche Getreidebilanz zeigt: Wir haben genug Getreide, um uns selbst zu versorgen. Einzige Ausnahme in jüngere Zeit war das schwere Dürrejahr 2018 – damals klaffte eine Versorgungslücke von fast 10 Prozentpunkten oder 4 Millionen Tonnen Getreide.

Das war zwar eine Ausnahme, zeigt jedoch, dass es kein Naturgesetz ist, das hierzulande immer ausreichend Getreide zur Verfügung steht. Und wie sieht es mit der Getreideversorgung aktuell aus? Nach den Berechnungen und Daten der Bundesanstalt für Landwirtschaft (BLE), lag der deutsche Selbstversorgungsgrad bei Getreide ingesamt im Wirtschaftsjahr 2020/21 bei 101 Prozent.

Das heißt: Wir könnten uns eigentlich komplett selbst versorgen. Ganz stimmt das jedoch nicht, denn im Grund trifft diese Aussage nur auf das wichtigste Getreide (nämlich Weichweizen) und auf das wichtigste Futtergetreide (nämlich Gerste) zu – dort liegt die Selbstversorgung In Deutschland bei 125 und bei 113 Prozent.

Ein Fünftel der Ernte für die Ernährung – fast 60 Prozent sind Futter

Getreideernte nach Jahren.

Bei anderen auch für die Ernährung wichtigen Getreidearten wie Roggen, Hartweizen und Hafer, sind wir eben nicht ausreichend versorgt – hier müssen die Deutschen auch in normalen Jahren beträchtliche Mengen importieren. Der Selbstversorgungsgrad bei dem für die Nudelherstellung benötigten Hartweizen liegt nur bei 15 Prozent, bei Roggen versorgen die Deutschen sich zu 84 Prozent selbst und bei Hafer kommen wir auf 71 Prozent. Hier sind also durchweg Importe nötig. Beim weltweit wichtigsten Futtergetreide – beim Mais – ist der deutsche Importbedarf ebenfalls sehr hoch (siehe unten).

Ingesamt ernteten deutsche Bauern im Wirtschaftsjahr 2021/21 etwa 43,3 Millionen Tonnen Getreide – verbraucht werden hierzulande ebenfalls knapp 43 Millionen Tonnen. Davon werden jedoch „nur“ 8,6 Millionen Tonnen bzw. 20 Prozent für die menschliche Ernährung benötigt.

Immerhin knapp 25 Millionen Tonnen oder 58 Prozent der Ernte fließen in der Futtertröge der Tiere. Immerhin 3,8 Millionen Tonnen oder knapp 9 Prozent werden außerdem für die Energiegewinnung eingesetzt und auch die Industrie verbraucht etwa 8 Prozent der Ernte (darunter als Braugerste und Stärke) und für Saatgut werden 2 Prozent benötigt.

Überschüsse bei Weizen – Qualitätsfrage wegen Düngermangel

weizenernte.

Wichtigstes Nahrungsgetreide in Deutschland und weltweit ist der Weizen. Hier erzeugen die deutschen Landwirte nach Frankreich – und deutlich vor Polen und Rumänien -  die zweitgrößte Menge in der EU: Im vorigen Jahr waren es rund 22 Millionen Tonnen. Davon werden reichlich 6 Millionen Tonnen - also 27 Prozent als Nahrungsweizen verwendet.

Dieser Weizen muss allerdings bestimmte Eigenschaften haben, um überhaupt als Nahrungsweizen Verwendung zu finden. Dazu gehören der Eiweißgehalt, die Backeigenschaften und einiges mehr. Voraussetzung dafür ist eine speziell auf diese Eigenschaften abgestimmte Düngung. Und da könnte es für die neue Ernte erhebliche Probleme geben, denn Mineraldünger ist wegen der extrem hohen Energiepreise knapp und teuer wie nie zuvor.

Die Bauern haben also in diesem Jahr nicht ausreichend Dünger, um die Eigenschaften des Brotweizens zu erreichen. Hinzu kommt: Russland ist nicht nur der größe Weizenexporteur der Welt, sondern auch der größe Exporteuer von Stickstoffdünger.

Der Weizen, der nicht als Nahrungsweizen verwendet wird, fließ vor allem in den Futtertrog. Das heißt für Deutschland: Rund ein Drittel der Weizenernte – oder 7,4 Millionen Tonnen werden verfüttert. Immerhin 8 Prozent des Weizen werden außerdem energetisch verwertet – unter anderem als Bioethanol und auch die Industrie verarbeitet 5,4 % einer Ernte – unter anderem zu Stärke.  

Deutschland verkauft viel Weizen ins Ausland

Besonders wichtig beim Weizen: Der Export. Deutschland ist Exporteur von hochwertigem Qualitätsweizen – und konkurriert dort unter anderem mit Kanada und den baltischen Ländern. Der Export und die dort erzielten Preise haben großen Einfluss auf die Preisebildung am Binnenmarkt – und damit auf die Erlöse der Bauern, wie die aktuelle Entwicklung zeigt.  

Im Wirtschaftsjahr 2020/21 lag die Ausfuhrmenge bei fast 10 Millionen Tonnen – und sehr guten Jahren waren es auch schon mal 13 bis knapp 15 Millionen Tonnen, die in andere EU-Länder und auf den Weltmarkt verkauft wurden. Gleichzeitig werden jedoch vor allem von der Futterindustrie rund 5 Millionen Tonnen Weizen importiert – insbesondere aus Tschechien, Polen und Frankreich.

Ingesamt entspricht das jedoch einem Exportüberschuss beim Weizen von rund 5 Millionen Tonnen. Den Weizenbestand gibt die BLE mit 2,7 Millionen Tonnen an – bei einer täglichen Verbrauchsemenge von 48.000 Tonnen würde dieser Weizen rein rechnerisch knapp 60 Tage reichen.

Überschüsse bei Gerste – Großes Defizit bei Mais

Maisernte.

Zweitwichtigstes Getreide für die deutschen Bauern ist die Gerste. Hier wurden im letzten Jahr knapp 11 Millionen Tonne geerntet. Wintergerste wird fast ausschließlich verfüttert und ein beträchtlicher Teil der Sommergerste wird als Braugerste benötigt.

Der Anteil Futtergerste liegt bei fast zwei Drittel der Erntemenge oder bei 6,7 Millionen Tonnen. Braugerste werden jährlich etwa 1,5 Millionen Tonnen benötigt – davon muss jedoch etwa ein Drittel importiert werden. Ingesamt wird jedoch ein erheblicher Teil der Gerste in andere EU-Länder und Drittländer exportiert: nämlich 3,6 Millionen Tonnen oder 17 Prozent der Ernte. Die Gerstenimporte – einschließlich Braugerste - belaufen sich auf 1,3 Millionen Tonnen. Ingesamt entspricht das einem Exportüberschuss von 2,3 Millionen Tonnen.

Wichtig in der Tierfütterung ist außerdem auch der Mais. Hier ist die Ukraine neben Brasilien, Argentinien und den USA der wichtigste Exporteur – unter anderem auch nach Europa. Die deutsche Maisernte lag zuletzt bei etwa 4 Millionen Tonnen – die Verbrauchsemenge beträgt jedoch 7 bis 7,5 Millionen Tonnen - ist also fast doppelt so hoch wie die Produktion. Allerdings werden nur 5,6 bis 6,0 Millionen Tonnen verfüttert – ein Teil geht auch in die bioenergetische Verwertung (Ethanol) und in die Industrie.

Nach den Daten der BLE werden jährlich zwischen 4 und 5 Millionen Tonnen Mais nach Deutschland importiert. Das meiste davon kommt über die Donau aus Südosteuropa  (Rumänien, Bulgarien, Ungarn) oder auch aus Frankreich. Unsere Importe aus der Ukraine lagen zuletzt zwischen 300.000 und 500.000 Tonnen jährlich. Deutlich größere europäische Importeure aus der Ukraine sind hingegen Spanien, Italien und die Beneluxländer.

Mit der Anmeldung für den Newsletter haben Sie den Hinweis auf die Datenschutzhinweise zur Kenntnis genommen.
Sie erhalten den agrarheute-Newsletter bis auf Widerruf. Sie können den Newsletter jederzeit über einen Link im Newsletter abbestellen.

Kommentare

agrarheute.comKommentare werden geladen. Bitte kurz warten...