Dass im neuen Bericht des Weltklimarates IPCC erneut unangenehme Wahrheiten ausgesprochen werden würden, hatte sich lange angekündigt. Obwohl die Arbeit an den Berichten streng vertraulich ist, hatte die Gruppe Scientist Rebellion schon im September den Entwurf eines Teils des Berichts geleakt. Einerseits, weil Abgesandte von Regierungen die Botschaften der IPCC-Berichte nach Ansicht der Aktivisten bereits in der Vergangenheit stark abgeschwächt hatten. Und andererseits, um zu zeigen, dass selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu zivilem Ungehorsam bereit sind – und persönliche Risiken auf sich nehmen, um die Öffentlichkeit zu informieren.

Nun ist der wohl wichtigste Teilbericht des IPCC für 2022 draußen (hier können Sie ihn herunterladen). Es geht darum, wie sich der Klimawandel begrenzen lässt – oder vielmehr, welche Optionen den Ländern der Erde überhaupt noch bleiben, um eine Erderwärmung mit desaströsen Folgen zu vermeiden. Die Botschaft ist deutlich: "Die Zeit zu handeln ist jetzt." Klimaziele und Maßnahmen müssten dringend verbessert werden, fordert der IPCC. Die Rede ist von einem weltweiten und wirtschaftsweiten Strukturwandel, von Verhaltensänderungen, ein ganzes Kapitel trägt die Überschrift "Systematische Transformation" – zwischen den Zeilen ist dieser Bericht kaum weniger als ein Aufruf zur Revolution.

Tagelanges Ringen um finale Formulierungen

Es ist kein Geheimnis, dass die Erkenntnisse des Weltklimarates nicht bei allen Regierungen auf Zuspruch stoßen. Und es dürfte einer der Gründe dafür sein, dass bis in die Nacht zum Montag über Formulierungen verhandelt und die Vorstellung des Berichts um einige Stunden verschoben wurde. An sich nicht außergewöhnlich: IPCC-Berichte entstehen über mehrere Jahre hinweg, in denen Studien zusammengetragen werden und Entwürfe einen ausgiebigen Begutachtungsprozess durchlaufen. Am Ende steht eine mehrtägige Sitzung, in der Forschende und Vertreter von Regierungen eine Zusammenfassung für Entscheidungsträger Wort für Wort durchgehen. Dabei wird auch gestritten. 

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, sieht darin sogar eine Stärke. Gerade weil die Regierungsvertreterinnen so lange verhandeln, müssen sie die Berichte bis ins Detail kennen: "Alleine das ist schon ein unschätzbarer Beitrag zum internationalen Klimaschutz."

Der aktuelle Bericht ist das dritte und letzte inhaltliche Kapitel des sechsten Sachstandsberichts des IPCC. Voraussichtlich im September wird als Abschluss noch ein Synthesebericht folgen, der die drei Kapitel zusammenfasst: Den ersten Teil, in dem es um die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Erderwärmung ging, und der nochmals verdeutlichte, dass der Klimawandel klar belegt und unzweifelhaft vom Menschen gemacht ist. Die eindringliche Warnung im zweiten Teil, dass die Folgen der Klimakrise schon jetzt verheerend sind – und schon bei 1,5 Grad Erderwärmung wohl wesentlich dramatischer ausfallen, als noch vor wenigen Jahren angenommen. Und nun die Botschaft des dritten Teils.

Wo stehen wir – und was muss passieren?

Die beginnt mit einer Bestandsaufnahme: Obwohl seit Jahrzehnten klar ist, dass die Treibhausgasemissionen sinken müssen, sind sie bis zuletzt gestiegen. Zwar hat sich das Wachstum im vergangenen Jahrzehnt etwas verlangsamt und wurde durch die Corona-Pandemie kurzfristig sogar gestoppt. Doch liegen die Emissionen heute höher als jemals zuvor – und zwar sowohl beim CO₂, dem Haupttreiber des Klimawandels, als auch bei anderen Treibhausgasen, wie etwa Methan oder Lachgas.

Die Folgen des Klimawandels treffen häufig die Ärmsten – für die Emissionen und damit für die Erderwärmung sind aber weiterhin vor allem reiche Menschen verantwortlich. So verursachen die wohlhabendsten 10 Prozent der Weltbevölkerung zwischen 34 und 45 Prozent aller Treibhausgasemissionen. Blickt man zurück, ist diese Ungerechtigkeit sogar noch deutlicher. Zwischen 1850 und 2019 waren die "am wenigsten entwickelten Länder" für nur 0,4 Prozent der Emissionen verantwortlich – obwohl rund 10 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern leben, die die Vereinten Nationen dazu zählen.